Volkswirtschaftsprofessor Mathias Binswanger sieht die Schweizer Landwirtschaft in einem unattraktiven Marktumfeld, in dem viele Anbieter wenigen Abnehmern gegenüberstehen.

 

Die Gesellschaft wolle eine Landwirtschaft, die hochwertige Lebensmittel produziere, die Umwelt nicht belaste, dem Tierwohl Sorge trage und die Kulturlandschaft pflege. Gleichzeitig müsse die Landwirtschaft aber auch preisgünstige Lebensmittel produzieren, dürfe keinen Lärm und Geruch verursachen und solle möglichst viel Land für Wohnungsbau im Grünen abgeben. Diesen Widerspruch zeigte Mathias Binswanger, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule Nordwestschweiz, anlässlich seines Referats an der DV des Solothurner Bauernverbandes auf.

«Man will eine Heidi-Landwirtschaft, deren Produkte man nicht kauft, weil sie zu teuer sind», so Binswanger. Gleichzeitig wolle man eine intensive Mastpoulet-Produktion nicht sehen, kaufe aber deren günstigere Produkte. Auch aufgrund mangelnder Information gebe es viele falsche Vorstellungen der Landwirtschaft unter den Konsumentinnen und Konsumenten.

«Landwirtschaft erhalten, ist Entscheid gegen den Markt»

Bei einer rein ökonomischen Sichtweise müsste die Landwirtschaft in der Schweiz laut Binswanger aufgegeben werden. Die Opportunitätskosten seien viel zu hoch. So liege die Wertschöpfung pro Beschäftigtem in der Landwirtschaft bei rund 30’000 Franken pro Jahr, im Bankwesen oder der Pharmaindustrie bei über 300’000. Anders gesagt: Es würde mehr Geld generiert, wenn Landwirtinnen und Landwirte was anderes tun würden.

«Die Landwirtschaft zu erhalten ist deshalb von Anfang an ein Entscheid gegen den Markt», so Binswanger. Aber dennoch sprächen viele Gründe dafür, Landwirtschaft in der Schweiz zu erhalten, Gründe die nicht unmittelbar mit der Ökonomie zu tun hätten: Versorgungssicherheit, gesunde Ernährung oder dezentrale Besiedlung sind einige davon. Die wichtigste ist gemäss Binswanger die Versorgungssicherheit. Wie bedeutend diese ist, wurde vielen mit dem Ukraine-Krieg wieder bewusst. Aber bereits vor dem 1. Weltkrieg habe die Schweiz aufgehört Getreide zu produzieren, habe dieses aus Russland und der Ukraine importiert. Mit dem Weltkrieg kamen die Versorgungskrise und die Einsicht, dass es eben doch Produktion im Inland braucht.

Keine Chance ohne Grenzschutz und Direktzahlungen

Aufgrund der hohen Kosten in der Schweiz ist für Binswanger auch klar, dass die Landwirtschaft mit ihren vielen Familienbetrieben ohne Subventionen – die man heute zwar anders nenne – und Grenzschutz nicht aufrechterhalten werden könnte. Die Direktzahlungen und der Grenzschutz tragen ungefähr zu gleichen Teilen dazu bei, dass eine produzierende Landwirtschaft erhalten werden kann.

Wenige Abnehmer, viele Anbieter

Für die Landwirtinnen und Landwirte sei die Marktsituation aber unattraktiv, was auch der Hauptgrund für die ökonomischen Schwierigkeiten sei. Das Problem laut Binswanger: «Wo wenige sind, ist es angenehm. Wo viele sind, ist es unangenehm», sagte er mit Blick auf die vielen Landwirtinnen und Landwirte, die wenigen Verarbeitern und Detailhändlern gegenüberstehen. Normalerweise spreche man von Marktmacht im Zusammenhang mit Monopolen und Kartellen, wo wenige Anbieter auf viele Abnehmer treffen. «Mit Marktmacht auf der Abnehmerseite hat man sich hingegen in der Vergangenheit wenig auseinandergesetzt», so Binswanger. Ein solche führe tendenziell zu zu tiefen Preise für die Anbieter. Diese müssen zu den angebotenen Preise liefern, denn alternative Abnehmer sind nicht vorhanden.

Produktiver, aber weniger Verdienst

Das wirkt sich auch auf die Produkte aus. Die Abnehmer wollten homogene Rohstoffe, egal ob sie von Landwirtin A oder Landwirt B kommen. «Die Bäuerinnen und Bauern können sich deshalb keinen Qualitätswettbewerb liefern», so Binswanger. Die einzige Möglichkeit sei deshalb, produktiver als andere zu werden, indem man Kosten senke.

Mit einer höheren Produktivität könnten die Bauern die gleiche Menge zu eine geringerem Preis anbieten. Weil aber die Nachfrage nach Lebensmitteln eher inelastisch ist – d.h. die Nachfrage steigt bei tieferem Preis nicht gross an – sinkt nur der Preis, ohne höherem Absatz. «Man ist produktiver geworden, verdient aber weniger Geld», so Binswanger.

Das sei die «Landwirtschaftliche Tretmühle»: Es kommt zu tieferen Preisen, die weniger produktiven Landwirte scheiden aus, die anderen werden noch produktiver und so weiter. «Immer weniger Bauern produzieren immer mehr, kommen aber wirtschaftlich nicht auf einen grünen Zweig», sagt Binswanger. Das sei keine Schweizer Eigenheit, sondern sei schon in den 1950er-Jahren in den USA festgestellt worden.

Tiefere Produzentenpreise, höhere Konsumentenpreise

Während die Produzentenpreise in den letzten Jahren gesunken sind, sind die Konsumentenpreise gestiegen. Der Anteil der Landwirtschaft an der Wertschöpfung nimmt ab. Auch das kein Schweizer Phänomen, in Deutschland geschehe dasselbe, sagt Mathias Binswanger. Im internationalen Vergleich aber sehr gross ist der Marktanteil der beiden grössten Detailhändler Migros und Coop mit rund 80%. In Deutschland zum Beispiel gibt es vier grosse Player.

Dieser tiefe Anteil der Bäuerinnen und Bauern an der Wertschöpfung ist laut Binswanger auch ein Problem dabei, dass die Verkäufe beim Label-Fleisch stagnieren. Eine Studie im Auftrag des Schweizer Tierschutzes zeigte, dass die Bäuerinnen und Bauern etwas mehr Geld für Label- und Biofleisch als für konventionelle Ware erhalten, die Konsumenten im Laden aber massiv mehr bezahlen. «Es überrascht nicht, wenn der Anteil der Labelprodukte stagniert, wenn die Konsumenten exorbitante Preise bezahlen müssen», so Binswanger.

Idealfall qualitatives Wachstum

Auch die Agrarpolitik sei nicht unschuldig am tiefen Wertschöpfungsanteil der Landwirtinnen und Landwirte. «Zum einen sollen die Bauern immer ökologischer produzieren und das Tierwohl noch stärker berücksichtigen. Zum anderen sollen sie aber auch immer produktiver werden und digitalisieren», so Binswanger. Sie gerieten deshalb immer weiter in die landwirtschaftliche Tretmühle und der Anteil an der Wertschöpfung in der Nahrungsmittelproduktion gehe auf diese Weise immer stärker zurück.

Ideal wäre ein qualitatives Wachstum. Die Bäuerinnen und Bauern könnten ihre Produkte verbessern und so mehr Wertschöpfung erhalten. Das funktioniert etwa bei den Winzerinnen und Winzern, die sich über ihre Produkte differenzieren können. Aber das Getreide vom Hof ist eben deutlich weniger differenzierbar als die Flasche Wein.

Welchen Weg schlägt Binswanger also vor? Mehr Direktvermarktung wäre seiner Ansicht nach das ideale Mittel, um mehr Wertschöpfung auf den Hof zu holen. Aber: «Es wird eine Nische bleiben und ist nicht für alle Produkte und alle Anbieter möglich», erklärt er (siehe auch den LID-Artikel «Wir wollen uns nicht einschränken lassen»). Mehr Bio und mehr Label funktionierten hingegen nur, wenn auch die Bäuerinnen und Bauern mehr Anteil erhielten.