Urs Niggli, ehemaliger Leiter des FiBL und heute unter anderem Präsident des Instituts für Agrarökologie, erörterte anlässlich der Onlinetagung von Mitte Januar die Zusammenhänge zwischen Nachhaltigkeit, Klimaneutralität und gesunder Ernährung, welche auch für die Obstproduktion wichtig sind.

Wenn die Weltbevölkerung bis 2050 auf 10 Milliarden Menschen anwachse und sich an der heutigen Produktions- und Ernährungsweise nichts ändere, würde dies (gemäss den Berechnungen der FAO) einen zusätzlichen Landbedarf von knapp 600 Mio. Hektaren (Grün- und Ackerland) erfordern. Dieser Mehrbedarf an Produktionsfläche würde bspw. dazu führen, dass Feuchtgebiete entwässert und Wälder abgeholzt würden. Dies verursachte enorme Mengen Treibhausgase und Umweltschäden. Deshalb sei eine Steigerung der landwirtschaftlichen Diversifizierung dringend nötig. Eine abwechslungsreiche Fruchtfolge sowie Precision-Farming könnten dabei zielführende Strategien sein.
Die Restaurierung degradierter Landwirtschaftsflächen beinhalte grosses Potenzial. Niggli warf die Frage auf, welche Landwirtschaft für den Planeten gesund ist: Ist es die kleinstrukturierte, die bodenunabhängige (z.B. Urban Farming, Aquakulturen) oder die hochtechnologisierte Landwirtschaft unter Einsatz von Smart Farming? Niggli erörterte Vorschläge des UN-Gipfels zu Ernährungssystemen (UNFSS), welcher im September 2021 in New York durchgeführt wurde. So wurde an diesem Treffen u.a. die Stärkung der Bäuerinnen und Bauern und deren Einbezug in Entscheidungen als wichtig erachtet. Ebenso deren Sicherung von Landrechten und Pachten. Auch geht es darum,
dass die Konsumenten an den «echten» und sozialen Kosten der Lebensmittel miteinbezogen werden.

Ganzheitlicher Systemansatz
Von 1990 bis März 2020 leitete Niggli das Forschungsinstitut für biologischen Landbau in Frick. Weltweit beträgt die im Biolandbau bewirtschaftete Fläche 1,6%. In der Schweiz hat der Marktanteil beim Bio 2019 eine Steigerung auf über 10% erfahren. Dies steht im Zusammenhang mit den veränderten Konsum- und Arbeitsgewohnheiten seit der Coronapandemie. Die EU hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2030 den Bioanteil auf 25% (auf 41 Mio. ha Fläche) zu vergrössern. Dabei sieht Niggli die Gefahr, dass in der EU günstiger produzierte Biolebensmittel durch die Schweiz importiert würden und diese die einheimische Bioproduktion unter Preisdruck setzen. Er ist überzeugt, dass der Biolandbau auf der Fläche grosse Vorteile hat: So gibt es nachweislich die positiven Effekte auf die Artenvielfalt, die Vogelpopulation und die Bodenfruchtbarkeit. Bezüglich Klima habe Bio gegenüber dem konventionellen Anbau aber keine Vorteile, weil die Erträge deutlich tiefer seien Er plädiert dafür, dass der ganzheitliche Systemansatz des
Biolandbaus in Kombination mit modernen Technologien als Lösungsansatz gesehen wird. Dieses nenne man «Agrarökologie». Die Digitalisierung und die Züchtungsmethoden, die mit Genom-Editierung arbeiten, seien kein Widerspruch zur Nachhaltigkeit. Ein radikal anderer Vorschlag wäre, tierische durch pflanzliche Proteine zu ersetzen und die Lebensmittelverschwendung zu stoppen. Auf die Frage eines Tagungsteilnehmers, wie die Problematik des starken Bevölkerungswachstums eingedämmt werden könnte, meinte Niggli, dass dazu mehr Bildung, Wohlstand
und Rechte für Frauen notwendig seien. Die Entwicklungszusammenarbeit sei deshalb sehr wichtig.